Gläubigerautonomie
Gläubigermitbestimmung oder die Gläubiger als “Herren” des Insolvenzverfahrens
In der Insolvenzordnung sind die Gläubigerversammlung als Beschlussorgan und der Gläubigerausschuss als Organ der Mitwirkung am Insolvenzverfahren geregelt. Als “Organe der Gläubiger” werden sie in der Überschrift des Dritten Abschnitts der Insolvenzordnung gleichrangig neben dem Insolvenzverwalter benannt. Dies ist Ausdruck des so genannten “Gläubigerautonomie”.
Gläubigerversammlung
Die Gläubigerversammlung tritt mindestens zweimal im Lauf des Insolvenzverfahrens zusammen. Bei der ersten Gläubigerversammlung, kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist die Beteiligung regelmäßig sehr hoch. Hier wirkt der frische Schock noch, so haben die Gläubiger noch Hoffnungen und sie wünschen die Informationen des Insolvenzverwalters zur Kenntnis zu nehmen.
Erste Gläubigerversammlung - der Berichtstermin
In dieser vom Gesetz “Berichtstermin” genannten Gläubigerversammlung hat der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten. Er soll darlegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen im ganzen oder in Teilen zu erhalten, ob es Möglichkeiten für einen Insolvenzplan gibt und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden.
So bestimmt die Gläubigerversammlung zu Beginn des Insolvenzverfahrens darüber, ob der bisherige Insolvenzverwalter beibehalten wird (meistens ja) oder ob sie einen anderer Insolvenzverwalter wählt. Auch entscheidet die Gläubigerversammlung, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird (in ca. 10 % bis 20 % der Fälle). Die Mitglieder des Gläubigerausschusses werden von der Gläubigerversammlung gewählt. (Der gelegentlich genutzte Begriff “Insolvenzversammlung” ist ebenso irreführend wie früher “Konkursversammlung”).
Mit diesen Entscheidungen endet aber praktisch die Herrschaft der Gläubiger über das angeblich zu ihrem Nutzen veranstaltete Insolvenzverfahren - faktisch geben sie die Herrschaft an den wahren Herrn des Insolvenzverfahrens ab, den Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter trifft künftig alle wesentlichen Entscheidungen; daran ändert sich auch nichts, falls ein Gläubigerausschuss gewählt wurde. Der Gläubigerausschuss kann den Insolvenzverwalter kontrollieren, er kann den Insolvenzverwalter aber nicht dirigieren. Gegen diese Aufgabenverteilung ist nichts einzuwenden. Würde der Gläubigerausschuss die Insolvenz regieren, so würde zum einen das Verfahren schwerfälliger, zum anderen würde sich die Frage stellen, wer denn dann den Gläubigerausschuss kontrolliert.
Stimmrechte in der Gläubigerversammlung
In der Gläubigerversammlung wird nach Höhe der vertretenen Forderungen abgestimmt. Somit haben in der Regel die kreditgebenden Banken und die mit Steuerausfällen betroffenen Finanzämtern sowie den Sozialversicherungen, die ebenfalls Beitragsforderungen haben, eine große Macht. Unberücksichtigt bleibt da zum Beispiel, dass die wirtschaftliche Betroffenheit der Banken in aller Regel wesentlich niedriger ist, da sie ja sich für ihre Darlehen Sicherheiten, z.B. Grundschulden, geben ließen.
Das Stimmrecht der betroffenen Arbeitnehmer wird dadurch reduziert, dass ihre Lohnforderungen aus dem Zeitpunkt des vorläufigen Insolvenzverfahrens in aller Regel bereits auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen sind, da sie ja einen Antrag auf Insolvenzgeld stellen mussten. Mit diesem Antrag auf Insolvenzgeld ist der Forderungsübergang automatisch verbunden, § 187 SGB III. Weitere Forderungen der Arbeitnehmer werden häufig bestritten, so dass ihnen auch kein Stimmrecht zugebilligt wird.
Die von der Insolvenz häufig in ihrer Existenz getroffenen Arbeitnehmer und Kleingläubiger wie zum Beispiel Handwerker sind also regelmäßig nur schwach in der Gläubigerversammlung vertreten. Doch was für andere nur Peanuts sein mögen, ist für diese ihr gesamtes Vermögen.
Bindung des Insolvenzverwalters an Beschlüsse der Gläubigerversammlung
Beschlüsse der Gläubigerversammlung sind jedoch für den Insolvenzverwalter nicht bindend. Er kann dagegen beim Insolvenzgericht, also dem zuständigen Amtsgericht, beantragen, diese Beschlüsse aufzuheben, § 78 InsO.
Unsere Kanzlei vertrat einmal so viele Arbeitnehmer in einem Verfahren, dass wir die Mehrheit in der Gläubigerversammlung repräsentierten. Dies gelang uns deshalb, weil die Gesellschafter der Gemeinschuldnerin vorrangig die Schulden bei den Banken und gegenüber den Sozialversicherungsträgern zurückführten. Statt dessen ließen sie die Arbeitnehmer mit ihren Forderungen aus dem schon seit längerem abgeschlossenen Sozialplan ins Leere laufen. Für die Schulden bei den Banken hatten sie die persönliche Haftung vorher übernehmen müssen. Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist strafbar. Die Nichterfüllung von Sozialplanforderungen ist dem Gesetzgeber nicht so strafwürdig erschienen.
Als wir nun mit unserer Mehrheit die für den Verkauf der Grundstücke erforderliche Genehmigung der Gläubigerversammlung (§ 160 InsO) verweigerten, weil wir einen höheren Erlös für möglich hielten , folgte das Insolvenzgericht der Ansicht des ihm vertrauten Insolvenzverwalter und hob den Beschluss auf.
In aller Regel wird also die Gläubigerversammlung von den großen Gläubigern dominiert.
Gläubigerausschuss §§ 67 ff. InsO.
Der Gläubigerausschuss dagegen repräsentiert die Gläubiger nicht nach der Höhe ihrer Forderungen. Ihm gehören in der Regel ein Bankenvertreter, ein Vertreter der Lieferanten, ein Vertreter der Finanzverwaltung und ein Repräsentant der Arbeitnehmer an. Es ist deshalb lohnend, sich mit Rechten, Pflichten und Einflussmöglichkeiten des Gläubigerausschusses zu befassen. Und wir möchten auch einen Blick auf die praktische Bedeutung des Gläubigerausschusses werfen.
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